Am Mittwoch durfte ich Cem Özdemir, unseren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2026 und Bundesminister a.D. sowie Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Fraktions Bündnis 90/Die Grünen im Landtag BW, in Nürtingen begrüßen. Für mich war das ein besonderer Moment, denn der Besuch fand auf dem Gelände der Alten Seegrasspinnerei statt, einem Ort, an dem ich selbst aufgewachsen bin. Als Kleinkind bei der Krabbelgruppe "Sandflöhen" , später im Kinderhaus und im Schülerhort. Später absolvierte ich ein Praktikum in der Jugendwerkstatt und in der Kinder-Kultur-Werkstatt, bevor ich bei Namél e.V. auch in Gambia mein Praktikum fortsetzte. Die Alte Seegrasspinnerei ist auch der Ort, wo wir die Fridays for Future Ortsgruppe in Nürtingen gegründet haben. Auch die ersten Gespräche, Ideen, Treffen für die Klima-Taskforce fanden in den Räumen der Alten Seegrasspinnerei statt. All diese Erfahrungen haben mich geprägt und mir gezeigt, wie wichtig dieser Ort für Nürtingen und die Region ist.
Der Besuch war Teil von Cem Özdemirs Sommertour durch Baden-Württemberg. Gemeinsam mit Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, informierten wir uns über die Arbeit des Trägervereins Freies Kinderhaus e.V.. Nach einem sehr leckeren Mittagessen (Ofengemüse von der Solidarischen Landwirtschaft und ein Gericht aus Gambia/Senegal - vielen lieben Dank an dieser Stelle an Birgit Seefeld und Fatou N'Diaye-Pangsy für dieses leckere Essen) bei dem auch Oberbürgermeister Johannes Fridrich und zahlreiche Gäste aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft anwesend waren, stellten Geschäftsführerin Julia Rieger, Pit Lohse und Klaus Nägele vom Vorstand die verschiedenen Angebote vor.
Beim Rundgang über das Gelände wurde eindrucksvoll deutlich, wie vielfältig die Arbeit angelegt ist. In der Jugendwerkstatt erhalten junge Menschen Struktur, Perspektiven und erste Qualifikationen. Viele von ihnen kommen über das Jobcenter, die Jugendgerichtshilfe oder bringen eigene Fluchterfahrungen mit. Aber es gibt auch ein offenes Angebot, hier nehmen auch zahlreiche zusätzliche Jugendliche diese Angebote wahr. Immer wieder gelingt es, Jugendliche von hier aus in Ausbildungen oder feste Arbeitsstellen zu vermitteln. Unterstützt werden sie dabei nicht nur bei handwerklichen Tätigkeiten, sondern auch im Alltag, etwa beim Bearbeiten von Briefen von Ämtern oder bei Behördengängen. Beim gemeinsamen Werkeln an den unterschiedlichsten Materialien wie Holz oder Metall, beim Bau einer Seifenkiste, eines Möbelstücks oder sogar eines Boots lernen die Jugendlichen nicht nur den Umgang mit Werkzeugen und handwerklichen Techniken. Es entstehen auch Gespräche über das, was sie beschäftigt, über Sorgen, über mögliche traumatische Erfahrungen. Gerade seit der Corona-Pandemie zeigt sich, wie sehr diese Form der Begleitung gebraucht wird, weil immer mehr junge Menschen mit psychosozialen Problemen zu kämpfen haben.
Cem Özdemir, selbst gelernter Erzieher, betonte: Geld sei hier gut angelegt, weil es jungen Menschen früh Orientierung gebe und damit verhindere, dass sie gesellschaftlich abgehängt werden.
Auch die Kinder-Kultur-Werkstatt beeindruckte: Hier können Kinder von ca. 6-14 Jahren nachmittags hinkommen, frei mit Materialien arbeiten und ihre Ideen verwirklichen, auch mal ganz anders als in der Schule, wo Aufgaben oft vorgegeben sind. Ich lernte als Kind hier auch, wie es denn ist mit dem Akkuschrauber umzugehen, Löcher in Holz zu bohren, eigene Ideen in die Tat umzusetzen.
Besonders beeindruckend ist auch die inklusive Ausrichtung. Über Projekte wie INKA, Inklusion in der kulturpädagogischen Arbeit wird gezielt daran gearbeitet, Kindern mit unterschiedlichen Voraussetzungen gemeinsames Lernen und Erleben zu ermöglichen. So wird Vielfalt zur Stärke: Kinder lernen voneinander und miteinander, entwickeln Verständnis für unterschiedliche Lebensrealitäten und wachsen in einer Atmosphäre auf, die von Offenheit und gegenseitiger Unterstützung geprägt ist.
Die KIKUWE ist damit nicht nur ein kreativer Ort, sondern auch ein Stück Demokratiebildung im Kleinen. Denn wer früh erfährt, dass die eigene Stimme zählt, dass Ideen ernst genommen werden, man Konflikte selbst austragen muss und dass gemeinsames Gestalten Spaß macht, nimmt dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit mit ins weitere Leben.
Zum Abschluss wurde das Projekt Freiraum vorgestellt, in dem junge Frauen aus zehn Nationen, teils mit ihren Kindern, bei Sport, Spiel und Gesprächen Gemeinschaft erleben und Selbstbewusstsein entwickeln. Das Projekt ist aus dem psychosozialen Beratungsangebot des Trägervereins hervorgegangen und zeigt, wie wichtig niedrigschwellige, verlässliche Räume für Empowerment sind. Denn gerade dort, wo Frauen ihre eigenen Fähigkeiten ausprobieren können, entsteht Selbstwirksamkeit und damit die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Der Freiraum leistet so nicht nur einen Beitrag zur Integration, sondern auch zur Demokratieförderung, weil er Teilhabe und Gleichberechtigung praktisch erfahrbar macht.
Deutlich wurde aber auch die prekäre Finanzierungslage: Rund 75 Prozent der Angebote müssen Jahr für Jahr neu über Projektmittel, Stiftungen und Spenden gedeckt werden. Das bedeutet Unsicherheit für Mitarbeitende und erschwert die Planung. Julia Rieger machte klar, dass die offene Kinder- und Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII als Pflichtaufgabe anerkannt und dauerhaft abgesichert werden müsse. Das Esslinger Modell, mit einer verlässlichen Förderung durch Landkreis und Kommune, könnte dabei eine Blaupause sein. Im Jahr 2026 will der Trägerverein durch eine selbst gegründete Stiftung das Gelände kaufen.
Ich, auch Cem Özdemir und Andreas Schwarz nehmen diese Botschaft mit. Möglicherweise gib in Aussicht, die Jugendwerkstatt in den vom Ministerium initiierten Zukunftsplan Jugend einzubinden und das Projekt Freiraum enger mit bestehenden Integrationsmaßnahmen zu verknüpfen.
Für mich persönlich hat dieser Tag gezeigt, wie wertvoll Orte wie die Seegrasspinnerei für unsere Gesellschaft sind. Hier entstehen Begegnungen, Dialogräume und Perspektiven, für Kinder, Jugendliche, Familien und Menschen aus den unterschiedlichsten Lebenswelten. Hier wird Demokratie im Alltag gelebt, hier wächst Zusammenhalt. Dass Cem Özdemir nicht nur zugehört, sondern genau verstanden hat, was dieser Ort leistet, macht mir Mut. Denn genau dafür will ich mich auch im Landtag stark machen: für verlässliche Strukturen, die Kindern und Jugendlichen Chancen geben, für Orte der Selbstwirksamkeit und für ein Baden-Württemberg, das zusammenhält und vorangeht.